Key Visuals

 RALF TURTSCHI Die Auffälligkeit wird weniger durch die typografisch saubere Darstellung erreicht, sondern mit den Elementen Farbe und Bild. Grossbetriebe operieren mit so genannten Key Visuals oder mit Bilder­welten, die einen gemeinsamen Bildstil kommunizieren. In der Praxis führt das dann dazu, dass sich viele Unternehmen mit ähnlichen Businessmotiven gleichen. Für die aktuelle Sunrise-Kampagne wird eine junge Frau mit rost­roten Haaren, geraden Stirnfransen und gelbem T-Shirt verwendet. Die Dame wird aufgrund der Kampagnenwirkung auch losgelöst von der Marke direkt mit Sunrise assoziert.

Für die Ausschreibung einer Veranstaltung können eine Nummer kleiner die gleichen Kriterien angelegt werden, auch hier braucht es Aufmerksamkeit, um das Thema aktiv anzupreisen. Der Die SGAMSP, die Schweizerische Gesellschaft für Arzneimittelsicherheit in der Psychiatrie, veranstaltet ihre Jahres­tagung unter einem Thema, zu welchem verschiedene Referenten eingeladen werden. Agenturtschi, visuelle Kommunikation, Adliswil, wurde mit der gestalterischen Umsetzung beauftragt.

Die Jahrestagung 2010 thematisierte Arzneimittelsicherheit in Bezug auf geschlechtsspezifische Psychopharmaka, die Agenturtschi in Form der entsprechenden Symbole für Mann und Frau gestaltete. Ein Key Visual dominiert eine Kampagne und setzt auf die Kraft der Wiederholung. So gesehen kann auch eine starke Typografie oder ein Logo diese Funktion einnehmen. Wer sich nicht einfach bei einer Bilddatenbank bedienen und ein Motiv selbst erarbeiten will, kann unterschiedliche Wege gehen, von der Idee über eine Skizze bis hin zur Realisation. Das Tagungsthema 2010 wurde fotografisch mit den beiden Symbolen festgehalten. Das Arrangement erfolgte mit Pillen und Tabletten auf einem weis­sen Grund mit anschlies­sendem Fotoshooting. Die Medikamente sind kunterbunt, damit sie in der Anwendung zu weniger Verwechslungen führen. Die Buntheit wird hier durch die beiden Symbole entschärft, sonst würde das Key Visual wie M&Ms im Gesundheitswesen aussehen.

Die Tagung 2011beschäftigt sich mit der Situation, dass Patienten oft nicht nur an einer psychischen Krankheit leiden, sondern auch körperliche Leiden mitbringen. Ein psychisch gestörter Mensch kann gleichzeitig auch eine Entzündung oder Zucker haben. Fatal wäre, wenn die Medikation gegen die psychische Störung die Medikation gegen das körperlichen Gebrechen aufheben oder verstärken würde. Daraus ergibt sich das Thema Multimorbidität und Polypharmazie (einfach übersetzt: Mehrfachkrankheit und Mehrfachmedikation). In der Praxis ergeben sich Millionen von Kombinationsmöglichkeiten, mit unterschiedlichen Therapieansätzen. Die SGAMSP befasst sich damit, diese Fälle zu sammeln, zu beschreiben und das Wissen verfügbar zu machen, dass die gesundheitlichen Risiken minimiert werden.

Die Visualisierungsidee bestand diesmal aus abstrahierten Pillen, die sich gegenseitig verstärken, aufheben oder wenigstens in die Quere kommen, sodass Nebenwirkungen entstehen. Die Tabletten oder besser Wirkstoffe bestehen aus Punkten und einer gestreckten Punktform. Mehrere Pillen bilden lange Ketten mit grösserer Wirkung. Durch die Vermischung von Pillen entsteht etwas Neues. Dort, wo sich die hellgrünen und blauen Wirkstoffe transparent überlagern, entsteht ein grüner Wirkstoff.

Als optischer Verstärker wird die Bildmetapher «fressen und gefressen werden» kreiert. Erst die angedeuteten Zähne machen die «Viecher» zu effektiven Fressmaschinen, erst sie machen deutlich, dass es hier um Leben und Tod geht.

Nach erfolgter Ideenskizze wurde das Key Visual direkt in Illustrator in den Farben Hellgrün und Cyan gezeichnet. Kunterbundtheit war diesmal nicht angesagt, weil sich hier zwei «Gegner» gegenüberstehen, die Grünen und die Blauen. Diese farbliche Vereinfachung ist nicht korrekt, denn es sind natürlich nicht nur zwei Wirkstoffe. Die Zuspitzung hilft, das Thema plakativer und provokativer zu gestalten.

Der Flyer im Format 10,5 × 21 cm wurde begleitet durch eine Ankündigung in Form einer Postkarte und durch Kuverts. Die Plakate, die auf dem Tagungsareal aufgestellt werden, sollen den Weg zur Veranstaltung weisen. Als kleiner humorvoller Ausreis­ser sind sogar die Hinweispfeile durch die Grünen oder Blauen angeknabbert worden.

Das Key Visual ist auf Gestaltungsebene das Pendant zum Logo. Es bietet sofortige Wiedererkennung bei maximaler Flexibilität. Das selbst gestaltete Key Visual ist gleichzeitig anspruchsvoll und befriedigend.